Tantalabbau und brutaler Konflikt im Ostkongo gehen Hand in Hand
Seit über drei Jahrzehnten wütet in Zentralafrika ein Konflikt, der es seit dem Völkermord in Ruanda 1994 selten auf die Titelseiten schafft. Seit mehreren Monaten ist die Lage in der Demokratischen Republik Kongo sehr angespannt. UN-Beobachter fürchten, die Region steht am Rande eines regionalen Kriegs. Dabei hält jede und jeder, der im Alltag zu einem elektronischen Gerät greift, sehr wahrscheinlich ein Stück Kongo in der Hand, das die- und denjenigen mit dem Konflikt in Verbindung bringt.
Die Demokratischen Republik Kongo ist besonders reich gesegnet mit denjenigen Stoffe, ohne die unser technologischer Alltag zum Stillstand kommen würde. Das Land ist eines der weltweit wichtigsten Förderländer von Tantal, Zinn, Wolfram und Gold, auch bekannt als 3TG, den Konfliktmineralien, wie sie im US-amerikanischen Dodd-Frank-Act[i] und der EU-Konfliktmineralien-Verordnung[ii] definiert sind. Beide Gesetze sind eine Reaktion auf den über 30 Jahre währenden Konflikt in Zentralafrika. Die EU-Verordnung verpflichtet Unternehmen, die diese Mineralien einführen, seit 2021 Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu erfüllen. In den USA bereits seit 2010.
Weltgrößte vernachlässigte Flüchtlingskrise
Besonders der Ostkongo wird von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den über 100 verschiedenen bewaffneten Gruppen heimgesucht. Zivilisten sind Opfer von Massakern und extremer sexueller Gewalt[iii] — die Zahl der Vertriebenen allein im Nordosten des Landes beträgt 5,5 Millionen Menschen.[iv] Es ist die größte vernachlässigte Flüchtlingskrise in der Welt.[v] In den östlichen Provinzen Nord- und Südkivu, die an Uganda, Burundi und Ruanda grenzen, konzentrieren sich auch die Coltanvorkommen, dem Erz, aus dem Tantal gewonnen wird.[vi]
Tantal kommt auf der Erde sehr selten vor und wird wegen seiner extrem stabilen sowie hitzebeständigen Eigenschaften geschätzt. Die Anwendung Nummer eins für Tantal ist die Elektronikindustrie. In kleinen Mengen findet es sich in Kondensatoren, kleinen elektrischen Bauelementen, mit denen elektrische Ladung gespeichert wird – etwa auf Leiterplatten, die in keinem elektronischen Gerät fehlen. Geschätzt 60 Prozent der weltweiten Tantalproduktion geht in die Elektronikindustrie.
Für Computerchips, der zweitwichtigsten Anwendung, ist Tantal unverzichtbar. Vor dem Hintergrund des Technologiekriegs mit China verschärften die USA im Oktober 2023 ihre Ausfuhrvorschriften für Halbleiterfertigungsprodukte. Auch in Kampfjets kommt Tantal vor, wo es dank seiner Hitzbeständigkeit als Legierung in Triebwerken verwendet wird und so die Kraftstoffeffizienz steigert. In Smartphones findet sich Tantal außerdem in RF-Filter in den Antennen.
Wachsende Tantalnachfrage
Marktbeobachter rechnen zudem mit einer zunehmenden Nachfrage nach Tantal, insbesondere als Legierung sowie auch im Zuge der 5G-Technologie. Aber auch für Elektroauto-Batterien könnte Tantal als Anodenbeschichtung an Bedeutung gewinnen.[vii] Wegen seiner sehr guten Biokompabilität ist Tantal auch für medizinische Anwendungen wie Implantate von hohem Interesse.[viii]
2023 produzierte die Demokratische Republik Kongo etwa 980 Tonnen, die zum größten Teil in Nord- und Südkivu gefördert werden.[ix] Ausgerechnet dort hat die Regierung in Kinshasa vor Monaten komplett die Kontrolle über weite Gebiete verloren und macht Paul Kagame, Ruandas Präsidenten, dafür verantwortlich. Er soll die Bewegung 23. März – kurz M23 – unterstützen, einer größtenteils aus Tutsi bestehenden Gruppierung, die sich 2012 aus der kongolesischen Armee abgespalten hat. Ein UN-Expertenbericht[x] vom Dezember liefert schwerwiegende Indizien für den Vorwurf aus Kinshasa. Demnach unterstützt Ruandas Regierung die M23 nicht nur mit Waffen und Material, sondern auch mit Soldaten der regulären ruandischen Armee.
Die Demokratische Republik Kongo ist führendes Förderland für Tantal und hielt 2023 einen Weltmarktanteil von etwa 35 Prozent. Anderen Angaben zufolge soll Ruanda seinem flächenmäßig 90 Mal größeren Nachbarn bei der Tantalförderung 2023 den Rang abgelaufen haben.[xi]
Ruanda: Vorwurf der Plünderung
Die Regierung in Kinshasa wirft Ruanda seit Jahren vor, die Bodenschätze im Osten der Demokratischen Republik Kongo mit Hilfe der Rebellengruppe M23 zu plündern und in die Nachbarländer Uganda und Ruanda zu schmuggeln, während die internationale Gemeinschaft wegsehe. Laut Finanzminister Nicolas Kazadi gehen der Demokratischen Republik Kongo durch Plünderungen jährlich fast eine Milliarde US-Dollar verloren.[xii]Da Ruanda nur wenige Lagerstätten habe, sei offensichtlich, dass alles aus der Demokratischen Republik Kongo stammt, sagte Kazadi gegenüber der Financial Times.[xiii]
In Ruandas Hauptstadt Kigali leugnet man all dies. Die USA und Frankreich haben Ruanda im UN-Sicherheitsrat dazu aufgerufen, sich aus dem Kongo zurückzuziehen sowie die Unterstützung von M23 zu beenden.[xiv] Aber auch die Regierung in Kinshasa wurde aufgerufen, die Zusammenarbeit ihrer Streitkräfte im Kampf gegen M23 mit bewaffneten Gruppen, die ebenfalls grausame Verbrechen an Zivilisten verüben, zu beenden. Es gibt außerdem auch Hinweise, dass die verfeindeten Gruppen beim Rohstoffschmuggel zusammenarbeiten.[xv]
Kongos Präsident Tshisekedi kämpft um internationale Aufmerksamkeit für die Situation in seinem Land und beauftragte vergangenen Herbst ein internationales Anwaltsteam medienwirksam damit, eine Klage gegen Apple zu prüfen. Der US-Konzern steht im Verdacht aus dem Kongo geschmuggelte Rohstoffe in seinen Geräten zu verwenden.[xvi] Auf ein Schreiben, das die Anwälte Ende April an Apple-CEO Tim Cook adressierten, reagierte der Konzern bislang nicht, was die Anwälte als Beweis dafür werten, dass ihre Fragen das Unternehmen in Verlegenheit bringen, exakte Antworten zu geben.[xvii]
Zusammenbruch der Überprüfbarkeit verantwortungsvoller Beschaffung
Aus Apples Pflichtberichten geht hervor, dass es keinen Grund zur Annahme gebe, dass die Raffinerien, von denen der Konzern Zinn, Wolfram und Tantalum bezieht, direkt oder indirekt bewaffnete Gruppen in der Demokratischen Republik Kongo oder ihren Nachbarländern finanzieren. Dabei warnen die UN-Experten, dass konkret die Erze aus den Coltan-Minen rund um die Kleinstadt Rubaya in der Provinz Nord-Kivu mit Hilfe von Etiketten des ITSCI-Systems der International Tin Association zur Rückverfolgbarkeit von Mineralien in Umlauf gebracht werden. Laut dem UN-Bericht würden die in Rubaya abgebauten Erze auch nach Ruanda geschmuggelt.
Das ITSCI-Programm hat am 30. April seine Aktivitäten in Nordkivu aufgehoben, nachdem M23-Rebellen die Kontrolle in dem Gebiet übernommen haben.[xviii] Die ITSCI-Etiketten sollen einerseits den Abbau in instabilen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo ermöglichen und andererseits garantieren, dass der Abbau keine bewaffneten Gruppen finanziert, Menschenrechte verletzt, Kinderarbeit oder Korruption fördert. Jeder Sack mit abgebauten Erzen soll mit dem ITSCI-System bis zur Mine zurückverfolgt werden können.
Das System der Rückverfolgbarkeit funktioniert laut Beobachtern allerdings nicht gut. Der Abbau findet in entlegenen und schwer kontrollierbaren Gebieten im Kleinbergbau statt. Die Bergleute arbeiten mit rudimentären Mitteln, oft ohne Lizenzen. Das so abgebaute Coltan wird nachts in legale Minen gebracht, heißt es in einem von der EU geförderten Bericht 2022.[xix] Offizielle Etiketten seien auch auf dem Schwarzmarkt erhältlich. „Benutzer können sich über die Herkunft der Tantalelemente in ihren elektronischen Geräten nicht sicher sein,“ heißt es im Bericht weiter.
Aus der Industrie selbst gibt es Kritik am ITSCI, da Daten ersten mit einjähriger Verspätung und Gewichtsangaben zu abgebauten Erzen gebündelt für die ganze Region, statt nach Ländern veröffentlicht werden. Damit ist nicht prüfbar, ob Ruandas Produktion tatsächlich aus eigenen Minen stammt oder, ob die Schmuggelvorwürfe zutreffen.[xx]
Blutiger Konflikt und Tantalabbau schließen einander nicht aus
Mit negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Weltmärkte oder den Tantalpreis ist mit dem Aufflammen des Konflikts seit Ende 2021 jedenfalls eher nicht zu rechnen. Aus der Geschichte könnte man sogar das Gegenteil ablesen: der Konflikt im Ostkongo dauert mit wenigen Unterbrechung schon durchgehend seit 1994 an. Die Tantalproduktion nimmt dort ab der Jahrtausendwende jedoch an Fahrt auf. Dies fällt mit dem Aufstieg von Silicon Valley, dem Boom der Elektronikindustrie und den Handys zusammen.
Gleichzeitig fällt Australien zu diesem Zeitpunkt als bisher wichtigster Tantalproduzent weg, wo das Metall als Beiprodukt des Lithiumabbaus gewonnen wurde. Das führte zu einer kurzzeitigen Versechsfachung des Preises, der in einen Förderboom im Kleinbergbau im Ostkongo mündete und die tragende Rolle Zentralafrikas bei der globalen Versorgung mit Tantal einleitete.[xxi] Allein der Handel mit und Abbau von Coltan beschäftigte 2009 rund 300.000 Menschen in der Demokratischen Republik Kongo. Weitere bedeutende Produktionsländer sind Brasilien, Nigeria und China, wobei Australien und Brasilien 60 Prozent der vorhandenen Tantal-Vorkommen für sich beanspruchen.[xxii]
EU unterstützt Ruanda mit Waffen und Geld
Wie kommt es, dass trotz der Sorgfaltspflichtverpflichtung westlicher Unternehmen nach wie vor Konfliktmineralien ihren Weg in alltägliche Verbrauchsgüter finden? Ein Grund ist, dass etwa in der EU nur Einführer der Roherze dazu verpflichtet sind, also Raffinerien und Verhütter. Bei Firmen, die Zwischen- und Endprodukte verarbeiten oder herstellen, die diese Metalle beinhalten, greift die Verordnung nur indirekt.
Ein anderes Problem ist aus afrikanischer Sicht die finanzielle Unterstützung Ruandas durch westliche Länder. Zwar wird Ruanda von diesen aufgefordert, sich aus dem Kongo zurückzuziehen. Gleichzeitig erhält das kleine Land Waffen und Geld aus dem Westen. So hat etwa Polen 2022 Waffen im Wert von fast fünf Millionen an Ruanda verkauft. Im Gegenzug exportierte Ruanda vor allem Wolfram und Zinn nach Polen.[xxiii]
Aktuell plant die EU außerdem Ruanda mit 40 Millionen Euro zu unterstützen. Das Geld soll für nichttödliche Militärausrüstung und Lufttransporte für ruandische Soldaten verwendet werden, die seit 2021 in der mosambikanischen Provinz Cabo Delgado im Einsatz sind. Es geht dort um die Niederschlagung des mosambikischen Ablegers des Islamischen Staats, der die Aktivitäten des französischen Erdölkonzern Total Energie behindert. Total plant in dem Gebiet ein 20-Milliarden-Euro schweres Flüssiggasprojekt, das seit Jahren verzögert wird.[xxiv] Bereits 2022 erhielt Ruanda für diesen militärischen Einsatz 20 Millionen Euro aus der EU-Friedensfazilität.[xxv]
ISE AG – August 2024 – Arndt Uhlendorff