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STUTTGART Kleine Fächer ganz groß

Semitistik, Indologie, Meteorologie oder Biophysik – all diese Studiengänge zählen zu den „Kleinen Fächern“ an den Unis. Wichtig sind sie gleichwohl. Eine Landesinitiative soll Qualität und Fortbestand sichern.

Hier gibt es kein Gedränge: Von den fast 30.000 Studierenden in Tübingen haben sich keine 100 in Paläoanthropologie eingeschrieben. Wer hier seinen Bachelor macht, ist den ältesten Abschnitten der Menschheitsgeschichte auf der Spur, interessiert sich für Quartärökologie und erwirbt Kompetenzen in der Osteologie: Mit modernsten Methoden lernt man Alter und Geschlecht steinalter Skelette zu bestimmen. Wissenschaftlich wird hervorragende Arbeit geleistet, der hochdotierte Landesforschungspreis ging 2014 an die international renommierte Tübinger Professorin Katerina Harvati.

So viel öffentliche Wahrnehmung bleibt den Kleinen Fächern (höchstens drei Professoren an einem Standort und/oder nur an zehn Prozent aller Uni-Standorte in Deutschland vertreten) in der Regel versagt. Zu Unrecht, wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) meint: „Obwohl klein in puncto Personalausstattung, Studierendenzahl oder Anzahl der Universitätsstandorte sind die Kleinen Fächer von unschätzbarer Bedeutung für die Grundlagenforschung und die Vielfalt des Denkens in unserer Gesellschaft. Auf ihre Kompetenz, ihre Sichtweisen und Methoden sind wir zwingend angewiesen.“

Wie es um die häufig „Orchideenfächer“ genannten Studiengänge an den baden-württembergischen Universitäten steht und was für sie getan werden sollte, hat Bauer von einer Expertenkommission aufarbeiten lassen. Die Ergebnisse wurden jetzt vorgelegt.

Damit gibt es erstmals Daten. Mit Ausnahme der beiden Unis in Ulm und Mannheim meldeten alle anderen sieben die Existenz Kleiner Fächer: insgesamt 116 (davon 75 unterschiedliche) mit rund 12 000 Studierenden im Haupt- und Nebenfach. Die große Mehrzahl betrifft die Geisteswissenschaften, doch immerhin fast jedes fünfte Kleine Fach zählt zu den Naturwissenschaften. Die meisten Kleinen Fächer hat mit 38 die Uni Freiburg, gefolgt von den Hochschulen in Heidelberg (31) und Tübingen (26).

Auf dem Symposium „Vielfalt, Kompetenz, Zukunft“ im vergangenen Jahr hat der Heidelberger Rektor Bernhard Eitel, wie im Abschlussbericht nachzulesen ist, auf eine besondere Problematik hingewiesen: „Es gibt kaum Fächer, die stärker vom Zeitgeist abhängen als die Kleinen Fächer.“ Als Beispiel führte er unter anderem die Gefährdung der Radiochemie an. Forschung zur Kernkraft und Kerntechnik gebe es kaum noch: „Aber wir haben noch mindestens 50 Jahre mit dem Abbau von Reaktoren zu rechnen. In 20 Jahren müssen wir jeden Kerntechniker aus Frankreich, Italien, Schweden oder USA berufen oder aus den Firmen rekrutieren, weil wir universitätsintern niemanden mehr ausbilden, ganz im politischen Mainstream.“

Auch für das Fach Bodenkunde gebe es keine Lobby: Dabei wisse jeder, „dass die Menschheit von der Fertilität der Böden abhängt.“ Dass sich der Mainstream ändern kann, zeige sich bei der lange vernachlässigten Lagerstättenkunde. Experten für Seltene Erden sind gefragt wie selten. So wie derzeit wieder die Altorientalisten angesichts der barbarischen Zerstörungen antiker Kulturgüter im Irak und andernorts durch die IS-Terrormiliz.

„Es ist also kein Luxus, sondern Notwendigkeit, sich mit den Kleinen Fächern zu beschäftigen“, begründet Bauer die Landesinitiative. Sie nimmt auf, dass vor allem Defizite bei personeller und räumlicher Ausstattung beklagt werden. So soll ein Fonds, der drei Jahre lang mit jährlich einer Million Euro gespeist wird, die Leistungsfähigkeit Kleiner Fächer weiterentwickeln.

Entscheidend bei der Förderung ist die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit in Lehre, Forschung und der gesellschaftliche Transfer. Ein Zukunftsrat soll das Koordinationsdefizit abbauen, für bessere Vernetzung sorgen und beim Transfer der Kompetenzen in die Gesellschaft helfen. Es geht um einen Selbststeuerungsprozess: Was erhalten, geschlossen oder neu aufgebaut werden soll, ist letztlich Sache der Universitäten.

Quelle: http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/Kleine-Faecher-ganz-gross;art4319,3151391

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