Mit seltenen Erden gegen Krebs
Europäische Forscher produzieren in einem Beschleuniger vier Radionuklide, die eine bessere Diagnose und eine effiziente Therapie versprechen. Versuche mit Mäusen lieferten vielversprechende Ergebnisse.
Mit „maßgeschneiderten“ Radioisotopen sollen Tumoren zukünftig effizienter bekämpft werden können. In einer vorklinischen Studie ist es einer europäischen Forschergruppe gelungen, die Wirksamkeit von Radionukliden des Elements Terbium (chemisches Symbol: Tb) – ein Metall der seltenen Erden – für die Krebstherapie zu demonstrieren. Anders als bereits seit längerem verwendete radioaktive Isotope, die meist als „Abfallprodukte“ an kommerziellen Kernreaktoren anfallen, besitzt Terbium offenkundig ideale Eigenschaften für die Medizin.
Die Radionuklidmedizin behandelt Krebspatienten mit Hilfe radioaktiver Substanzen, die in die Blutbahn injiziert werden. Die Strahlung dieser Substanzen vermag Krebszellen zu zerstören und das Tumorwachstum im Körper des Patienten aufzuhalten oder Geschwulste sogar zurückzubilden. Da die emittierte Strahlung nicht zwischen gesundem und krankem Gewebe unterscheidet, ist es notwendig, das radioaktive Isotop in eine biologische Komponente zu „verpacken“, die gezielt an die Krebszellen andockt. Auf diese Weise kann sich der Wirkstoff am kranken Gewebe konzentrieren und dort den Kampf gegen den Tumor aufnehmen.
Maßschneidern in der Frühphase
Viele der in der Nuklearmedizin gebräuchlichen Isotope wie Iod-131 oder Yttrium-90 haben aus medizinischer Sicht oft keine idealen Eigenschaften hinsichtlich der Energie sowie der Art und der Dauer der radioaktiven Strahlung. „Ideal wäre es, die am besten geeigneten Radioisotope bereits in einer frühen Phase der Entwicklung von Medikamenten auswählen zu können“, erklärt der Physiker Ulli Köster vom Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble. Ihm ist es gemeinsam mit Kollegen des Paul-Scherrer-Instituts im schweizerischen Villingen, der Technischen Universität München und des europäischen Forschungszentrums Cern bei Genf gelungen, vier maßgeschneiderte Terbium-Isotope zu produzieren, die die medizinischen Anforderungen möglicherweise erfüllen könnten. Die Ergebnisse der ersten Tierversuche waren vielversprechend.
Nuklide zur Diagnose und Therapie
Zur Herstellung der künstlichen Radionuklide mit den Massenzahlen 149, 152, 155 und 161 beschossen die Wissenschaftler Folien aus Tantal und Gadolinium mit Neutronen oder energiereichen Protonen. Die Terbiumisotope unterscheiden sich zwar in der Zahl der Neutronen und in der Art ihres radioaktiven Zerfalls, aus chemischer und biologischer Sicht sind sie aber einander recht ähnlich. Das ist ein großer Vorteil für die Radionuklidmedizin. Verpackt in einen im Wesentlichen aus dem Vitamin B9 bestehenden Molekülkomplex, können die Radioisotope an bestimmten Tumoren andocken und dort ihre Wirkung entfalten.
Diese ist je nach Isotop unterschiedlich ausgeprägt: So emittieren die Isotope Terbium-155 und 161 Gammastrahlung, die den Körper des Patienten fast vollständig wieder verlässt, so dass sich diese beiden Radionuklide besonders zur Diagnose und Lokalisation von Tumoren eignen. Terbium-152 emittiert dagegen Positronen, die schnell in Gammastrahlung zerfallen. Dieses Isotop ist daher für die Diagnose mit der Positronen-Emissions-Tomographie prädestiniert. Therapeutischen Nutzen haben insbesondere Terbium-149 und 161. Letzteres sendet Beta-Strahlen aus, die einige Millimeter bis wenige Zentimeter tief in das Gewebe eindringen und dort Zellen zerstören. Die von Terbium-149 emittierten Alpha-Teilchen dringen nur wenige Zehntelmillimeter in das Gewebe ein. Terbium-161 emittiert neben den Beta-Teilchen noch sogenannte Auger-Elektronen aus der Atomhülle, die aufgrund ihrer geringeren Energie nur wenige Mikrometer weit kommen, was ideal für die Bekämpfung kleiner Tumoren und Metastasen ist.
Vielversprechende Pilotstudie
Die Forscher um Köster haben den potentiellen diagnostischen und therapeutischen Nutzen des Terbiumquadrupletts an Mäusen überprüft. Bei fünf von insgesamt acht Versuchstieren konnte eine Rückbildung der Tumoren beobachtet werden. Allerdings räumen Köster und seine Kollegen selbst ein, dass die Zahl der Versuchstiere zu klein war, um aus diesen Ergebnissen allzu große Schlüsse ziehen zu können. Dass neue onkologische Verfahren in vorklinischen Versuchen vielversprechend Ergebnisse liefern, in klinischen Tests aber enttäuschen, ist ein allzu bekanntes Muster in der Krebsmedizin. Die in der Zeitschrift „The Journal of Nuclear Medicine“ (doi:10.2967/jnumed.112.107540) veröffentlichte Versuchsreihe hat daher den Charakter einer Pilotstudie. Sie zeigt, dass das Konzept als solches funktioniert – wenn auch nur bei solchen Tumoren, die über geeignete Rezeptoren für den Vitamin-Komplex verfügen, in den man die Terbiumnuklide einbettet.
Chance für bessere Therapie
Für die Radionuklidmedizin könnte die Studie trotz dieser Einschränkung ein wichtiger Fortschritt sein. Bereits jetzt herrscht immer wieder Mangel an bestimmten Nukliden. Institute wie Cern oder das ILL, die hauptsächlich mit der Erforschung fundamentaler physikalischer Zusammenhänge in Erscheinung treten, könnten hier einspringen, meint Köster: „Sie können die Entwicklung vielversprechender neuer Therapien beschleunigen, indem sie Radioisotope in hoher Qualität bereitstellen, die kommerziell bislang nicht erhältlich sind.“
Quelle: F.A.Z.