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Goldgrund

Kupfer, Kobalt, seltene Erden: Am Boden der Tiefsee liegen Schätze, die eigentlich nur noch geborgen werden müssen. Doch die Kosten und Folgen sind unklar.

Von Alexander Stirn

Das Gold liegt auf dem Boden. Man muss es nur finden. Und herausfräsen. Und einsaugen. Und an die Meeresoberfläche bringen, an Land karren, trennen, reinigen, aufbereiten. Und dann hoffentlich noch etwas Geld damit verdienen.

Rohstoffe vom Meeresboden – seien es Gold, Kupfer oder seltene Metalle wie Lanthan und Kobalt – haben Minengesellschaften in ihren Bann gezogen. Tief im Ozean, bis zu 6500 Meter unter der Meeresoberfläche, breitet sich eine schöne neue Welt des Unterwasserbergbaus aus: Manganknollen, die wie Kartoffeln auf dem Meeresboden liegen und nur aufgeklaubt werden müssen. Kobaltkrusten, die die Hänge unterseeischer Bergketten überziehen – steinhart, aber reich an Metallen. Und Sulfidschichten, die sich rund um heiße Quellen am Meeresboden abgelagert haben und nicht nur stinkenden Schwefel, sondern Gold und Silber enthalten.

Es ist ein riesiger Schatz, der im Grunde nur noch gehoben werden muss. Und die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht: „Für lange Zeit, für mehr als 100Jahre, war der Bergbau in der Tiefsee nicht mehr als eine Idee“, sagt Mark Hannington, Leiter der Abteilung für marine Rohstoffe beim Kieler Meeresforschungszentrum Geomar. „Nun aber haben die wirtschaftlichen, politischen, technischen und wissenschaftlichen Herausforderungen einen Punkt erreicht, an dem sie machbar scheinen.“

Das Wissen über die Tiefsee hat nicht mit den menschlichen Aktivitäten dort mitgehalten

Ob sie auch machbar sind – und ob der Abbau aus ökologischen Gründen überhaupt zu vertreten ist – muss sich allerdings noch zeigen. Denn die Tiefsee gibt ihre Schätze nur ungern preis: Mehr als die Hälfte der Erde ist von kilometertiefen Ozeanen bedeckt. In ihnen ist es kalt und dunkel, der Druck ist enorm. Die tiefen Gewässer sind zudem eine reiche Quelle für Nährstoffe, sie speichern Kohlendioxid aus der Atmosphäre, sie sind Lebensraum für eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Arten. Jeder Eingriff kann fatal sein.

Viel mehr ist über die Ozeane aber auch nicht bekannt. „Leider hat unser Wissen über die Tiefsee und ihre Ökosysteme nicht mit dem rapiden Anstieg der menschlichen Aktivitäten im Wasser mitgehalten“, sagt Lisa Levin, Direktorin des Zentrums für Meeresbiodiversität am Scripps-Forschungszentrum in Kalifornien. „Und genau jetzt, wo kommerzielle und strategische Interessen die Wissenschaft überholen, bereiten wir den Abbau von Rohstoffen vor?“ Levin ist, wie viele ihrer Kollegen, nicht begeistert. Die Forscherin mahnt zur Vorsicht. „Wir brauchen eine Balance zwischen dem Bedarf an diesen Rohstoffen und dem Schutz der Ökosysteme mit ihren vielfältigen Funktionen.“ Nur: Wie könnte diese Balance aussehen? Wie lässt sich das Unbekannte schützen?

Gar nicht zu graben, scheint keine Alternative zu sein – schließlich gibt es auf den ersten Blick gute Gründe für den Abbau am Meeresgrund. „Weltweit ist die Nachfrage nach Rohstoffen und Mineralien in jüngster Zeit stark gestiegen, nicht zuletzt durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Ländern wie China oder Brasilien“, sagt Hannington. Immer tiefer müssen die Bergbauer daher in die Erdkruste vordringen, immer teurer wird der Abbau, immer schwerer fällt es, überhaupt noch Mineralien mit hoher Qualität zu finden.

Hinzu kommt, dass die Rohstoffe sehr ungleich über die Erde verteilt sind. Etwa 40 Prozent des Metalls Kobalt, das in Batterien und besonders widerstandsfähigen Stählen verwendet wird, kommen nach Berechnungen des World Ocean Review aus der Demokratischen Republik Kongo – einem äußerst armen, politisch instabilen Land. Bei den sogenannten Seltenen Erden ist das Ungleichgewicht noch größer. Hier stammen 97 Prozent aus China, darunter das silbrige Metall Lanthan, das vor allem für Akkus benötigt wird. In der Batterie eines modernen Hybrid-Autos können sich mehr als zehn Kilogramm des wertvollen Stoffes befinden. „Da verwundert es nicht, wenn das Interesse immer größer wird, diese Seltenen Erden künftig aus der Tiefsee zu holen“, sagt Lisa Levin.

Rein technisch scheint dem wenig entgegenzustehen. „Wir haben zuletzt große Fortschritte bei Tiefseerobotern gemacht, wir haben Zugang zum Meeresboden wie nie zuvor, wir kommen dorthin und können Aufgaben erledigen“, sagt die Meeresbiologin Cindy Lee Van Dover von der Duke University im amerikanischen North Carolina. Erste Firmen wollen das ausnutzen: Die kanadische Firma Nautilus Minerals tüftelt seit langem an ihren Bergbaurobotern. Nächstes Jahr sollen die weißen Maschinen nun endlich zum Einsatz kommen – in der Bismarcksee östlich von Papua-Neuguinea. Dort, in 1600 Metern Tiefe, hat das Unternehmen eine elf Hektar große Sulfidschicht entdeckt. Mit bis zu 15 Gramm Gold pro abbaubarer Tonne liegt auf dem Meeresgrund dreimal so viel Edelmetall wie in typischen Lagerstätten an Land. Beim Kupfer ist die Konzentration sogar zwölfmal so hoch.

Um an die Schätze heranzukommen, soll zunächst ein kleiner Roboter den Boden einebnen. Eine zweite, große Maschine wird dann die Sulfidschichten abfräsen. Ein drittes Raupenfahrzeug saugt sie ein und bringt sie zu einer riesigen Unterwasserpumpe. Von dort wird der Schlamm durch ein 30Zentimeter dickes Rohr zu einem Schiff an die Oberfläche gedrückt. Er wird entwässert, das Abwasser wird gefiltert und wieder 1500 Meter in die Tiefe gepumpt – dorthin, wo es herkam. Der verbleibende Schutt wird umgeladen und in einen 50 Kilometer entfernten Hafen geschleppt, wo er weiterverarbeitet werden soll.

Ein Großteil der Technik kommt aus der Öl- und Gasförderung, die seit Jahrzehnten in ähnlichen Tiefen sucht, bohrt und schweißt. Mark Hannington ist trotzdem skeptisch. „Wer mit Ingenieuren spricht, besonders aus der Ölindustrie, bekommt zu hören, dass der Abbau ein rein technisches und damit lösbares Problem sei“, sagt der Meeresforscher. „Wir haben am Geomar allerdings lange genug in solchen Tiefen gearbeitet, um zu wissen, dass das ein ganz besonders feindlicher Ort ist – für Maschinen und für jede andere Aktivität.“

Zum Abbau der Manganknollen und Kobaltkrusten existieren derzeit nicht einmal Maschinen. Für die Ernte der Knollen, bei der der Meeresboden bis in eine Tiefe von fünf Zentimetern durchpflügt werden muss, hat die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe vor einigen Jahren immerhin Entwürfe bestellt. Für den Abbau der Krusten, die mit einem Meißel von den darunter liegenden Bergen getrennt werden müssen, gibt es nur Konzeptstudien. Nach Schätzungen des World Ocean Review müssten jährlich mehr als eine Million Tonnen Kobaltkrusten mit einer Dicke von mindestens vier Zentimetern abgetragen werden, damit sich der Aufwand lohnt.

Für Mark Hannington führt das unweigerlich zu der Frage, ob solch ein Abbau überhaupt wirtschaftlich sinnvoll sein kann – zumal ständig steigende Rohstoffpreise nicht garantiert sind, wie aktuell das Öl zeigt. Ende der 1970er-Jahre hatte schon einmal ein Goldrausch die Tiefsee erfasst. Auch Deutschland wollte damals Sulfidschichten und Manganknollen abbauen. Dann gingen die Preise der Rohstoffe zurück, der Tiefseebergbau mit seinem immensen Aufwand rechnete sich nicht mehr. Die Aktivitäten schliefen ein.

Auch heute ist die Aufbruchsstimmung nicht ungetrübt. Auf der einen Seite stehen die reinen Zahlen, und sie klingen vielversprechend: In einem typischen Sulfidfeld könnten sich, so Van Dover, 1,5 Millionen Tonnen abbaubares Material befinden. Bei einem durchschnittlichen Kupfergehalt von acht Prozent würde allein der Abbau des rötlichen Metalls knapp 700 Millionen Dollar einbringen, vom zusätzlichen Gold und Silber ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite stehen unkalkulierbare Kosten: Die Brocken müssen nicht nur abgebaut und an die Oberfläche gebracht werden, die Ingenieure müssen sie auch verarbeiten, an Land schiffen, das Metall extrahieren, es reinigen und verkaufen. Und sie müssen sich bewusst sein, dass Kosten auf sie zukommen können, die sie heute noch gar nicht erahnen – sei es wegen technischer Schwierigkeiten oder neuer Umweltauflagen. „Erst wenn all das zusammengezählt ist, wird klar sein, ob sich mit Tiefseebergbau wirklich Geld verdienen lässt“, sagt Hannington. „Alle in der Branche warten daher sehnlichst darauf, dass endlich jemand anfängt.“

Entgehen lassen will sich die möglichen Milliarden dennoch niemand: 19Lizenzen zum Erkunden maritimer Lagerstätten hat die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) inzwischen vergeben, die von Jamaika aus die Ausbeutung der Tiefsee koordiniert. Während Nautilus Minerals innerhalb der 200-Meilen-Zone von Papua-Neuguinea schürfen will und daher nur mit dem Inselstaat über Abbaurechte verhandeln muss (was sich jahrelang hingezogen hat), liegen die meisten anderen Vorkommen in internationalen Gewässern. Staaten – aber auch Firmen – können bei der ISA eine Lizenz zur Exploration aussichtsreicher Parzellen erwerben. Deutschland hat das bereits getan, genauso wie Frankreich, Indien und China.

Seegurken, Würmer und Schnecken werden nicht schnell genug fliehen können

Bei den Manganknollen dürfen diese Felder 150 000 Quadratkilometer groß sein; 15 Jahre sind für die Erkundung vorgesehen. Im Anschluss dürfen die Staaten mit dem Abbau beginnen – allerdings nur auf der Hälfte der Fläche, der Rest soll ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt werden. Damit will die ISA, die durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde, ihrem eigentlich Zweck nachkommen: Rohstoffe im Meer als Erbe der Menschheit und als gemeinsame Ressource aller Staaten zu verwalten.

Kommendes Jahr laufen die ersten Erkundungslizenzen aus. Die Staaten müssen dann entscheiden: Wollen sie die Exploration um fünf Jahre verlängern, wollen sie ihre Lizenzgebühren abschreiben und die Parzelle aufgeben oder wollen sie tatsächlich abbauen? Unter welchen rechtlichen und ökologischen Rahmenbedingungen der Bergbau dann betrieben werden darf, muss die ISA allerdings noch festlegen. Angesichts des kaum vorhandenen Wissens über den Lebensraum Tiefsee erwarten Meeresbiologen nichts Gutes – zumal die ISA keine Umweltschutzorganisation ist. „Die Meeresbodenbehörde dient primär dazu, die Leute zum Bergbau zu bringen. Schließlich ist das die Einnahmequelle der ISA“, sagt Van Dover.

11 034 Meter tief ist die tiefste Stelle der Weltmeere im Marianengraben im Westpazifik. In der Hadopelagial genannten Zone ab 6000 Meter Tiefe herrschen beständig Temperaturen um den Gefrierpunkt, zugleich ist der Druck mehr als 1000-mal höher als an der Wasseroberfläche. Dennoch gibt es auch dort Leben: An der tiefsten Stelle des Marianengrabens sind die Mikroorganismen sogar aktiver als an einer sechs Kilometer tiefen Stelle in der Nähe.

Auch wenn wenig über die Ökosysteme am Meeresgrund bekannt ist, scheint eines klar zu sein: Der Abbau von Rohstoffen wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Maschinen, die zum Beispiel Manganknollen abernten sollen, wirbeln unweigerlich Sedimente auf. Strömungen können diese Wolken erfassen, abtransportieren und in anderen Regionen ablagern. Empfindliche Organismen, insbesondere am Boden sitzende Tiere, werden zugedeckt und sterben. Auch Seegurken, Würmer und Schnecken, die nicht schnell genug vor dem Pflug fliehen können, haben keine Chance. Viele aufgescheuchte Tiere erwischt schließlich der Sauger, der die Knollen einsammeln soll.

„Wenn wir die Knollen verlieren, verlieren wir auch die Arten, die nur dort leben“, sagt Van Dover. Sie kommen, wenn überhaupt, nur sehr langsam zurück: In einem groß angelegten Versuch hatten deutsche Ozeanforscher vor 25 Jahren ein mehrere Quadratkilometer umfassendes Areal im Pazifik umgepflügt. Anschließend überprüften sie in regelmäßigen Abständen, was dort kreucht und fleucht. Erst nach sieben Jahren konnten sie wieder die gleiche Dichte an Bodenlebewesen vermelden. Einige Arten kehrten jedoch nie zurück. Dieses Jahr wollen die Forscher erneut nachschauen. Auch bei den Unterwasserbergen, die mitunter von Schleppnetzen beschädigt werden, sind 30 Jahre nach der Zerstörung weniger Arten vorhanden als zuvor.

Eine der Forderungen von Meeresbiologen lautet daher: Wir brauchen Schutzgebiete, deren Ökosystem vergleichbar ist mit dem der Bergbau-Parzellen. Vertriebene Arten könnten sich dort niederlassen; einzigartige Tiere würden nicht komplett verschwinden, falls ihr Lebensraum woanders vernichtet wird. „Wenn wir wissen, dass es repräsentative Schutzgebiete gibt, können wir Bergbau betreiben“, sagt Linwood Pendleton, Ökologe an der Duke University. „Wenn wir unsicher sind, sollten wir gar nicht erst damit anfangen.“

Eine weitere Idee: Rohstoffe sollten nur in kleinen Streifen abgebaut werden, damit Lebewesen zumindest die Chance haben, den verwüsteten Boden von rechts und links rasch wieder zu besiedeln. Nautilus Minerals will vor Papua-Neuguinea zudem Schnecken umsiedeln, künstliches Substrat am Meeresboden ausbringen und einen Teil der abgebauten Fläche renaturieren – während ein anderer Teil zu Vergleichszwecken unbehandelt bleiben soll.

Auslaufende Lizenzen, neue Regelungen, erste Bergbauprojekte, Umweltstudien: „Alles kommt in den nächsten drei bis fünf Jahren zusammen. Dann werden wir hoffentlich wissen, ob Tiefseebergbau machbar ist“, sagt Geomar-Forscher Hannington. Für Cindy Lee Van Dover klingt das wie Chance und Bedrohung zugleich: Bevor das große Geld fließe, müsse die Tiefseeforschung Ergebnisse liefern – und diese Resultate müssten in sinnvollen, gut überlegten Vorschriften münden, fordert die Biologin. Hinterher sei es zu spät.

„Wenn wir eine wirklich fortschrittliche Regelung zum Schutz der Unterwasser-Umwelt haben wollen, müssen wir nun handeln“, sagt Van Dover. „Ich will, dass die Leute in hundert Jahren sagen: Die haben damals, auf Basis der verfügbaren wissenschaftlichen Daten, den richtigen Kurs gesetzt – und sind nicht am Steuer eingeschlafen.“

Quelle:  Alexander Stirn, Goldgrund, Süddeutsche Zeitung, 1.Mai,2015

http://www.sueddeutsche.de/wissen/tiefseebergbau-goldgrund-1.2457954

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