08.04.2012 – Deponie statt Mine – Müll als lukrative Rohstoffquelle
Recycling wird als Materialquelle immer attraktiver – gerade bei steigenden Ölpreisen. Vielen Aufbereitungsanlagen fehlt bereits der Nachschub: Sie suchen in alten Mülldeponien nach Material.
Wenn der Ölpreis steigt, stöhnen die meisten Unternehmen auf. Ganz anders ergeht es dem österreichisch-amerikanischen Unternehmen MBA Polymers. Die Firma stellt Kunststoffe aus recyceltem Elektroschrott wie Mixern, Telefonen oder Fernsehern her. „Steigt der Rohölpreis, werden herkömmlich hergestellte Kunststoffe teurer. Und das Interesse an unseren Produkten wächst“, sagt Theo Bremer, Vertriebsleiter bei MBA Polymers Austria.
Je teurer Rohöl oder Metalle werden, desto gefragter sind wiederverwertete Rohstoffe. „Recycling wird immer wichtiger“, bestätigt Eric Rehbock, Geschäftsführer des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). Verpackungs- und Bauindustrie setzen schon jetzt zu großen Teilen auf recyceltes Material. Glasflaschen bestehen hierzulande zu 85 Prozent aus Altglas, Papier zu 70 Prozent aus Altpapier. Stahl und Aluminium bestehen immerhin zur Hälfte aus vermeintlichem Schrott. Das ergaben Hochrechnungen des BVSE. Und die Nachfrage nach den recycelten Rohstoffen steigt: „Kunststoffe, Stahl und Edelmetalle sind derzeit besonders gefragt“, sagt Rehbock.
Diesen Trend bestätigt auch Bremer. MBA Polymers ist in den vergangenen sechs Jahren stark gewachsen, betreibt inzwischen Werke in den USA, Österreich, China und England. „Wir recyceln jährlich 140.000 Tonnen Kunststoff“, sagt Bremer. Daraus entstehen etwa Autokennzeichenhalter und Stempel, Staubsauger und Kaffeemaschinen.
Bisher hat die Recyclingbranche allerdings ein Preisproblem: „Wiederverwertete Rohstoffe sind häufig teurer als Neuprodukte“, sagt Carsten Eichert, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Encros und Experte für Ressourcenmanagement und Recycling. Steigende Rohstoffpreise wirkten dem entgegen.
Inzwischen werden Abfälle verwertet, die sich vor Kurzem noch nicht wirtschaftlich aufbereiten ließen. Autohersteller nutzen für Katalysatoren etwa Palladium, das sie aus alten Leiterplatten gewinnen. Bald erreichten die Preise für Metalle, Kunststoffe und seltene Erden einen so hohen Wert, dass sich auch das Recyceln von Kleingeräten wie Handys oder Rasierer lohnen werde, gibt sich Rehbock überzeugt.
Alte Deponien als neue Quelle
Langfristig dürfte auch das sogenannte Urban Mining lukrativ werden: In alten Mülldeponien liegen riesige Mengen an Metallen begraben. Noch ist es zu teuer, Müllhalden abzutragen und aus dem Abfall die kostbaren Rohstoffe zu bergen. „Seltene Erden sind dafür noch nicht selten genug“, sagt Andreas Habel, Experte für Elektroschrott beim BVSE.
Einen entscheidenden Vorteil haben recycelte Rohstoffe bereits jetzt: Sie sind umweltschonender als neue Produkte. „Kunststoffe und Eisenmetalle aus Schrott verursachen rund 50 Prozent weniger CO2 im Vergleich zur Primärherstellung“, sagt Thomas Pretz, Leiter des Instituts für Aufbereitung und Recycling der RWTH Aachen. Bei Aluminium ließen sich sogar 95 Prozent einsparen.
Die Recyclingbranche hat aufgerüstet und investiert seit Jahren in neue Aufbereitungsanlagen und neue Technologie. Hiesige Anlagenbetreiber haben allerdings ein Problem: „Ihnen fehlt der Schrott“, sagt Pretz. Noch ist es für viele Unternehmen günstiger, Abfälle nach Afrika oder Asien zu verschiffen. Nach Schätzungen der Uno werden jährlich allein aus Deutschland 100.000 Tonnen Elektronikschrott illegal exportiert.
Bis zu 26 verschiedene Metalle steckten in einem Elektrogerät, weiß Pretz zu berichten. In Asien oder Afrika entnimmt man dem Schrott jedoch nur die teuersten, leicht zu recycelnden Rohstoffe. „Dort interessiert man sich nur für die rund hundert Gramm Gold, die in einer Tonne Elektroschrott stecken.“ Die meisten restlichen Metalle gingen verloren. Aufbereitungsanlagen in Europa könnten dagegen alle Metalle recyceln. Deshalb fordern Verbände wie der BVSE aktuell von der Politik, in der EU ein Schrottausfuhrverbot durchzusetzen. Das käme der Recyclingbranche in Deutschland entgegen.
(Financial Times Deutschland – von Raphael Zelter und Sibylle Schikora)