01.04.2012 – Alte Handys bergen millionenschweren Schatz
Millionen alter Mobiltelefone liegen in Schubladen und Schränken. Industrie und Politik wollen die Geräte endlich nutzen. 80 Prozent der Rohstoffe in alten Handys lassen sich wiederverwerten.
Er gehört wohl zu den am wenigsten gesicherten Schätzen Deutschlands, dabei ist er ungeheuer wertvoll. Fast zwei Tonnen Gold horten die Deutschen in ihren Schubladen – ohne davon zu wissen. Das kostbare Edelmetall versteckt sich in mehr als 80 Millionen alten und nicht mehr benutzten Mobiltelefonen, jedes einzelne davon trägt knapp 25 Milligramm Gold in sich. Insgesamt hat es einen Wert von rund 80 Millionen Euro. Und doch weigern sich die Besitzer, ihre Geräte herauszugeben.
Seit Jahren mühen sich Industrie und Politik, an den Handy-Schatz heranzukommen. Vergeblich. Schätzungsweise nur drei Prozent der Mobiltelefone werden recycelt. „Handys, die nicht mehr benötigt werden, sind ein echtes Rohstofflager“, sagt die Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Katherina Reiche (CDU). Tatsächlich ist Gold nur einer von rund 60 Rohstoffen, die in Mobiltelefonen verbaut werden. 80 Prozent davon können wiederverwertet werden, darunter Silber und Kupfer. In einer Million Handys stecken 150 Kilogramm Silber und mehrere Tonnen Kupfer.
Zwar seien die Rohstoffmengen in jedem einzelnen Handy eher gering, in Summe könne daraus aber ein erheblicher Beitrag zum schonenden Umgang mit knappen Ressourcen werden, sagt Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Hightech-Verbands Bitkom. Neben Gold, Silber und Kupfer benötigen die Handyhersteller auch Blei, Nickel, Wismut, Zinn, Antimon oder Iridium. Derzeit verschwinden rund drei Prozent der weltweiten Silber- und vier Prozent der Goldproduktion in den Mobiltelefonen und Computern.
Ein Handy wird im Durchschnitt alle 18 bis 24 Monate ersetzt. Nach einer repräsentativen Umfrage des Bitkom landet ein großer Teil der ausrangierten Geräte in den Schubladen, etwa jedes vierte wird verschenkt. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Marktforschers Gartner weltweit fast 1,8 Milliarden Handys verkauft. Derzeit tauschen die Nutzer ihre Geräte vor allem gegen die internettauglichen Smartphones aus. Die jüngste Umfrage des Bitkom ergab einen Alt-Handy-Bestand von 83 Millionen Geräten in der Bundesrepublik, 15 Prozent mehr als im Vorjahr.
Längst hat das Handy die Industrie in Abhängigkeiten gestürzt, über die sie gar nicht glücklich ist. Beispiel Seltene Erden: Sie werden zu mehr als 95 Prozent in China gewonnen, darunter das in Mobiltelefonen verbaute Yttrium und Europium. Globale Abnehmer fühlen sich durch chinesische Exportquoten, Mindestpreise und Zölle benachteiligt.
In Deutschland gilt eine Richtlinie für alte Handys
Zuletzt haben deshalb die USA eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation WTO gegen China vorgebracht, Europa unterstützt das Vorgehen. Ein anderes Beispiel ist Coltan: Die Hersteller benötigen das Roherz, um daraus Tantal herzustellen, das für die Produktion von Handy-Kondensatoren gebraucht wird. Coltan aber wird in Zentralafrika abgebaut, teilweise illegal – in Gebieten, in denen Berggorillas bedroht sind oder wo Bürgerkriege toben. In den Minen schuften oft Kinder und Jugendliche.
Politiker und Industrie mühen sich, diese Abhängigkeiten zu verringern. Zunehmende Rohstoffknappheit und steigende Preise beispielsweise für Gold und Kupfer lassen vor allem das Recycling als möglichen Ausweg erscheinen. Gesetze dafür gibt es zur Genüge.
So gilt in Deutschland längst eine Produktverantwortung für alte Handys, die die sachgerechte Sammlung und das Recycling regelt und sowohl die Produzenten als auch die Inverkehrbringer in Verantwortung nehmen. In der EU regelt eine Richtlinie, dass in wenigen Jahren 85 Prozent des Elektroschrotts eingesammelt werden soll. Recycling-Höfe nehmen die Geräte kostenlos entgegen.
Mobilfunker werben für Rückgabe
Auch die Mobilfunkanbieter in Deutschland umgarnen ihre Kunden in der Hoffnung auf die alten Handys. Wer sein Gerät loswerden will, kann es in den Shops von Telekom, Vodafone, Telefónica O2, E-Plus und Mobilcom-Debitel kostenlos abgeben oder übers Internet portofreie Umschläge bestellen und die Handys dann in den Briefkasten stecken. Größere Mengen lassen die Mobilfunker von Paketdiensten an der Haustür abholen.
Als Anreiz versprechen die Netzbetreiber, für jedes Handy einen festen Betrag oder die Erlöse aus dem Recycling an gemeinnützige Organisationen zu spenden. Eine Reihe von Initiativen, darunter die „Bild“-Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“, der Naturschutzbund Deutschland (NABU), die Deutsche Umwelthilfe und der World Wide Fund For Nature (WWF) profitieren davon. Die Spenden liegen zwischen einem und drei Euro je Alt-Handy. „Auf diesem Weg fließt jedes Jahr ein Millionenbetrag an karitative Organisationen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder.
Ein großer Teil der Handys wird jedoch erst gar nicht recycelt, sondern überprüft, gegebenenfalls repariert und, nachdem die Daten gelöscht wurden, anschließend weiterverkauft. Einige Mobilfunker bieten an, das alte Gerät in Zahlung zu nehmen. Sie lassen dann den Wert über Partnerunternehmen schätzen und entweder auszahlen oder als Gutschein für neue Telefone und Gesprächsminuten zusenden.
Gebraucht-Handys landen oft in Afrika
Viele der gebrauchten Geräte landen dann auf Märkten in Afrika, wo die Zahl der Handy-Nutzer immer noch stark zunimmt. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) kämpft seit Jahren gegen die Praxis der sogenannten Re-Use-Firmen. „Sie nutzen eine rechtliche Grauzone, da die Althandys vor dem Export noch als Produkt und Ware und nicht als Abfall gelten“, sagt BDE-Präsident Peter Kurth.
„Daher werden sie unter dem Vorwand der Warenverkehrsfreiheit ausgeführt.“ Kurth fordert, diese „illegalen Exporte“ zu unterbinden. Es müsse wesentlich schärfere Ausfuhrkontrollen geben, die nicht erst in den Häfen, sondern bereits im Umfeld der Wertstoffhöfe beginnen sollten. Sein Argument: Nur wenn die Alt-Handys in Deutschland sachgerecht recycelt würden, gingen die in den Geräten enthaltenen Rohstoffe der nationalen und europäischen Wirtschaft nicht verloren.
Die Rohstoffentnahme aus alten Handys ist selbst für die Recycling-Firmen eine Herausforderung. Meist werden die Geräte geschreddert, das dadurch gewonnene Granulat wird von Fachbetrieben bearbeitet, anschließend extrahieren sie Metalle und Edelmetalle.
Seltene Erden sind nicht recycelbar
Nur wenige Firmen sind dazu in der Lage. Geht es darum, auch noch die Seltenen Erden zu gewinnen, die nur in kleinsten Mengen verbaut sind, müssen fast alle abwinken. Experten zufolge bräuchte es fünf bis zehn Jahre, um ein Recyclingsystem für Seltene Erden in Europa aufzubauen.
Bevor es zu einer solchen Wiederverwertung kommt, müssten jedoch erst einmal die Verbraucher davon überzeugt werden, ihre Geräte an der richtigen Stelle abzugeben. Zwar hat der Bitkom in seiner Umfrage festgestellt, dass nur zwei Prozent der alten Handys im Hausmüll landen.
Doch Schätzungen gehen von einer weitaus höheren Zahl aus und bezweifeln die Ehrlichkeit, mit der Verbraucher auf solche Fragen antworten. Viele beugen die Wahrheit nicht ohne Grund: In Deutschland ist es gesetzlich verboten, alte Handys in die normale Mülltonne zu werfen. Wer erwischt wird, muss mit einem Bußgeld rechnen.
Grüne wollen ein Pfandmodell für Handys
Zuletzt hatten die Grünen vorgeschlagen, je Handy beim Kauf zehn Euro Pfand zu verlangen. Einen entsprechenden Antrag haben sie im März in den Bundestag eingebracht. „Die Verbraucher brauchen eine stärkere Motivation, ihr altes Handy zurückzugeben, wenn sie sich ein neues kaufen“, erklärte die umweltpolitische Sprecherin der Partei, Dorothea Steiner. In vier Jahren könne man eine Rückgabequote von 60 Prozent anstreben, in acht Jahren von 80 Prozent. Der Antrag soll im April im Umweltausschuss diskutiert werden.
Die Industrie jedoch wehrt sich gegen diese Lösung. „Handys sind keine Dosen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder. Ein Pfand würde die bestehenden Rücknahmesysteme zerstören. Außerdem erzeuge ein Pfandsystem, das über derart lange Zeiträume verwaltet werden müsste, einen enormen bürokratischen Aufwand und wäre praktisch kaum umsetzbar, sagt Rohleder.
Im Bundesumweltministerium befürchtet man durch einen solchen Alleingang eine Benachteiligung der Internet-Händler in Deutschland, über die immer häufiger Handys geordert werden. Käufer würden dann einfach über das Internet ihr neues Handy im Ausland bestellen. Ohne Pfand, aber mit Gold.
(Berliner Morgenpost)