23.03.2012
Supraleitung: Kostenhalbierung bis 2017
Stromtechnik: Hochtemperatur-Supraleitung steht als Technologie in der Stromwirtschaft kurz vor der kommerziellen Markteinführung. Auf der ZIEHL-III-Fachtagung in Bonn wurde aber auch deutlich, dass die Branche noch Probleme zu bewältigen hat.
Für Mathias Noe, Leiter des Instituts für Technische Physik am Karlsruher Institut für Technologie, gibt es vier große Einsatzbereiche der sogenannten Hochtemperatur-Supraleitung (HTSL): Kabel und Leitungen, rotierende Maschinen, Strombegrenzer und Transformatoren.
Der verstärkte Einsatz der regenerativen Energien und die damit verbundenen schwankenden Einspeisungen machen einen intelligenten Netzausbau erforderlich. Auch hier gerate die HTSL zunehmend in den Blick, so Noe. Populäres Anwendungsgebiet für das Thema Kabel ist die Pilotstrecke in Essen, wo zwei Umspannstationen mit einem rund 1 km langen HTSL-10-kV-Kabel verbunden werden (siehe VDI nachrichten, 27. 1. 12, S. 12).
Die neue Verbindung dürfte sich rechnen: Laut Frank Merschel, Koordinator bei RWE Deutschland für Neue Technologien, kann eine Spannungs-, nämlich die 100-kV-Ebene, entfallen, der innerstädtische Platzbedarf ist geringer als bei der konventionellen Versorgung und man braucht weniger Umspannanlagen.
Viele Experten der Bonner Tagung „Zukunft und Innovation der Energietechnik mit Hochtemperatur-Supraleitern“ (Ziehl III), die Anfang März stattfand, rechnen zudem mit sinkenden Kosten der HTSL der sogenannten 2. Generation.
Noe selbst prognostiziert eine Halbierung der Kosten pro kA/m, gemessen an heutigen Preisen bis 2017. Der Preis in Dollar wird dann von über 1000 $ pro kA/m anno 2006 auf knapp über 50 $ pro kA/m im Jahr 2017 gesunken sein.
„Das Preis-zu-Stromtragfähigkeitsverhältnis von Kupfer kann von der HTSL der 2. Generation in einigen wenigen Jahren unterschritten werden“, sagte Noe. Bei dieser wird statt auf teures Silber auf Nickel, Chrom, Eisen oder Yttrium-Barium-Kupferoxid (YBCO) zurückgegriffen.
Aber wenn eine Technologie wie die HTSL an der Schwelle zur kommerziellen Nutzung steht, ist sie noch lange nicht darüber hinweggeschritten. Daran ändern auch vereinzelte Einsätze wie der eines supraleitenden Strombegrenzers im realen Betrieb des Braunkohlekraftwerks Boxberg in der Lausitz nichts (siehe VDI nachrichten, 4. 6. 10, S. 11).
Aber es gibt immer mehr Ideen, Studien und Demonstratoren. So hat Vision Electric, ein Spezialist für Hochstromschienensysteme aus dem pfälzischen Schwanenmühle bei Kaiserslautern, eine Konzeptstudie zum Einsatz supraleitender Hochstrom-Schienensysteme vorgelegt. „Einer der großen Vorteile liegt in dem geringen Platzbedarf in den oft engen Fabrikanlagen“, weiß Geschäftsführer Wolfgang Reiser.
Solche Schienensysteme sind Transporteur großer Ströme bei eher niedriger Spannung, etwa in Chloranlagen, bei Zinkelektrolysen oder in Aluminiumhütten. Durch Tests hat Vision Electric herausgefunden, dass mit HTSL bis zu 600 kA transportiert werden könnten.
In Aluminiumhütten werden derzeit bis zu 350 kA über Distanzen bis zu 500 m transportiert. Mit HTSL würde sich der Raumbedarf dabei auf 5 % verringern. Aufwendige Schutzvorrichtungen für die Mitarbeiter könnten entfallen. „Eigentlich hätten wir schon längst HTSL einsetzen können“, schwärmt Reiser. Ein Vergleich der Stromverluste zeigt ihm zufolge eindeutig, dass oberhalb von 10 kA und bei Distanzen oberhalb von 20 m die HTSL-Technologie vorteilhafter als konventionelle Kupfer- oder Aluminiumtechnologie wäre.
Michael Bäcker, Gründer der Deutschen Nanoschicht aus Rheinbach, wies in Bonn darauf hin, dass man die Ökobilanz in die HTSL-Betrachtungen einbeziehen müsse. Obwohl HTSL mit drastisch weniger Material auskommt, hat es eine 100-fache Leistungsdichte.
Würde man zum Beispiel Generatoren für eine 8-MW-Windkraftanlage marktüblich mit Kupfertechnologie bauen, so bräuchte man 80 t Kupfer – bei HTSL wären es nur 8 t. Und wieder der Hinweis auf den Platz: Misst der Rotor bei Kupfer 11 m, so sind es bei der HTSL nur noch 3,8 m. Nachteil jedoch: Rund 20 kg Seltene Erden würden gebraucht.
Am vielversprechendsten dürfte der Einsatz der HTSL bei Strombegrenzern sein: Hier spielt sie ihre inhärenten Vorteile aus (s. Kasten). Seit 2010 ist der neue Strombegrenzertyp im Braunkohlekraftwerk von Vattenfall im sächsischen Boxberg im Einsatz. Inzwischen ist er laut Achim Hobl, Standortleiter von Technologielieferant Nexans in Hürth, weiter entwickelt worden. „Er ist von außen identisch, aber innen bezüglich der Materialeigenschaften optimiert worden.“
Die Einsatzbereiche mehren sich. Siemens hat erste Tests mit Strombegrenzern in Hochspannungssystemen gemacht. Unter Projektfinanzierung des US-Department of Energy baute Siemens Erlangen – unter Projektleitung von Kabelhersteller AMSC – einen Demonstrator.
Aufgabe der Erlanger war dabei die Entwicklung, der Bau und Test der Schaltmodule. Der Strombegrenzer kommt dabei auf stattliche Ausmaße: über 5 m lang, komplett mit Flüssiggas gefüllt und ein Schaltmodul aus dreimal 21 bifilaren Spulen.
Installiert und getestet wurde er bei Southern California Edison in einem Umspannwerk. Die Hochspannungstests zur Isolationsprüfung hat er alle bestanden, so die Blitzstoß-, Schaltstoß- und Kurzzeit-Wechselspannungsprüfung sowie die Teilentladungsprüfung.
„Dieser resistive Strombegrenzer ist für Hochspannungsanlagen geeignet“, resümiert Wolfgang Schmidt, Magnetbauexperte von Siemens Corporate Technology. Die Sache hat nur einen Haken: Eigentlich sollte dieses Jahr der reguläre Testbetrieb starten. „Aber es ist derzeit kein Geld für diese Phase da, um das Gerät auch wirklich einzusetzen“, meint Schmidt. ULRICH SCHMITZ
Supraleiteranwendung Strombegrenzer
-Bei Überschreiten einer kritischen Stromstärke – etwa bei einem Kurzschluss oder Blitzschlag – verlässt das Leitermaterial innerhalb von Millisekunden den supraleitenden Zustand und wirkt als hoher elektrischer Widerstand. Es fließt ein definierter Reststrom, der sich exakt einstellen lässt.
-Supraleitende Strombegrenzer benötigen nach einem Vorfall keine Steuerung oder Ersatzteile, sie sind komplett eigensicher. Nach dem Kurzschluss muss der Begrenzer nur kurzzeitig stromlos geschaltet werden, damit er durch die Kühlung wieder in Betriebsbereitschaft zurückkehrt.
Quelle: VDI nachrichten, Bonn, 23. 3. 12, swe us