Große Vielfalt der Nanotechnologie auf der Research & Technology – Forschungsinstitute zeigen Großes aus der „Zwergenwelt“
16.04.2012 Hannover – Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts mit vielfältigem Anwendungspotenzial. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die Querschnittstechnologie, die nahezu alle Branchen betrifft. Mit umfassenden nanotechnologischen Lösungen (nanos = Zwerg im Griechischen) aus der „Zwergenwelt“ präsentieren sich daher Forschungseinrichtungen, Universitäten und Institute auf der Research & Technology im Rahmen der HANNOVER MESSE vom 23. bis 27. April 2012.
Nachtfröste im April – oder wie der Eiskratzer überflüssig wird
Selbst Ende April kann es noch zu Nachtfrösten kommen. Für Autofahrer sind gefrorene oder auch beschlagene Scheiben ein lästiges Übel. Forscher am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST in Braunschweig haben für dieses Problem jetzt eine Lösung gefunden. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie nicht nur transparente, leitfähige – und somit heizbare – nanometerdünne Schichten herstellen können. Ihre Oberflächenschichten bringen einen weiteren entscheidenden Vorteil mit. Die Außenschicht ist niedrig emittierend. Sie sorgt also dafür, dass die Scheibe viel langsamer abkühlt. So kann sich Kondenswasser nicht bilden. Die Scheibe bleibt trocken und eisfrei.
Bisher nutzte man schon ähnliche Schichten, die aus Zinnoxid bestehen. Diese sind jedoch sowohl mechanisch als auch optisch noch unvollkommen. Bei zu hohen Temperaturbelastungen, wie beispielsweise beim Glasbiegen, können daher Risse entstehen. Folglich kommen Zinnoxid-Schichten industriell nur begrenzt zum Einsatz.
„Unsere neue Schicht besteht aus nanokristallinem Indium-Zinn-Oxid, auch als ITO bezeichnet, und ist extrem stabil“, erklärt Dr. Bernd Szyszka vom IST. „Temperaturen bis 900 Grad Celsius sind kein Problem, und selbst wenn man sie stark verbiegt – die Schicht bleibt, wie sie ist.“ Die Beschichtung kann deshalb auch in großindustriellen Anlagen verwendet werden.
Neu: Anti-Eis-Ausrüstung für Kunststoffoberflächen
Eisschichten sind für Autofahrer ärgerlich, im Flugverkehr sind sie ein Sicherheitsrisiko. Tragflächen müssen vor dem Start enteist werden, um die Aerodynamik der Flügel nicht zu beeinträchtigen. Auch während des Fluges werden diese mit heißen Triebwerksabgasen beheizt. Das erhöht den Kraftstoffverbrauch um bis zu 30 Prozent und treibt auch die klimaschädlichen Emissionen in die Höhe. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart hat daher zusammen mit Partnern im Verbundprojekt „Nanodyn“ eine Anti-Eis-Ausrüstung für Kunststoffoberflächen entwickelt.
Hierfür erzeugen die Wissenschaftler wasserabweisende mikro- und nanostrukturierte Schichten, auf denen Wasser auch bei Temperaturen unter null Grad flüssig bleibt und sich somit erst gar kein Eis bildet. Der Grund: Die Schichten bieten dem Wasser, das gefrieren will, keine Kristallisationskeime auf der Oberfläche, und es verbleibt in einem „stark unterkühlten“ (supercooled) Zustand. „Und selbst wenn das Wasser gefriert, vermindert unsere Anti-Eis-Ausrüstung die Haftung von Eis um mehr als 90 Prozent gegenüber der unbeschichteten Oberfläche“, sagt Dr. Michael Haupt, Projektverantwortlicher vom IGB.
Fensterscheiben gegen Winterdepressionen
In der dunklen Jahreszeit kommt es vermehrt zu psychischen Erkrankungen infolge von Störungen im Melatonin-Haushalt. Dieses Hormon steuert unter anderem den Schlaf-wach-Rhythmus des Menschen. Schuld daran ist zu wenig Licht. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC in Würzburg haben spezielle Fenstergläser entwickelt, die im Bereich zwischen 450 und 550 Nanometern ihre maximale Durchlässigkeit aufweisen, also im blauen Bereich des sichtbaren Lichts.
Gerade der Blauanteil des Lichts ist offenbar für die optimale Funktion des Melatonin-Spiegels verantwortlich und damit für das „richtige Ticken“ der inneren Uhr im menschlichen Organismus. Die Beschichtung der Gläser ermöglicht höchste Transparenz verbunden mit der optimalen Anpassung an den psychisch wirksamen Wellenlängenbereich. „Es entsteht das Phänomen, dass das Glas zwar physisch vorhanden ist, aber der im Raum befindliche Mensch hat das Empfinden, als sei er an einem dauerhaft geöffneten Fenster – zumindest was die Steuerung des Melatonin-Haushalts anbelangt“, erläutert Dipl.-Ing. Walther Glaubitt, Kompetenzfeldleiter Anorganische Materialien am ISC.
KIT zeigt virtuelles Großforschungsprojekt: Karlsruhe Nano Micro Facility
Neben der Fraunhofer-Gesellschaft mit wegweisenden Exponaten und Entwicklungen zu beschichteten Gläsern und Kunststoffen sind in diesem Bereich zahlreiche weitere Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen vertreten. Dazu zählt auch das Karlsruhe Institut für Technologie (KIT), das zugleich Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft ist.
Am KIT erforschen Wissenschaftler beispielsweise am Institut für Nanotechnologie (INT) Antworten auf so wichtige Zukunftsfragen wie: Lassen sich in zukünftigen elektronischen Speicherchips die Informationen in einzelnen Molekülen speichern? Welche Nanomaterialien kommen als Wasserstoffspeicher in Frage, um damit ein Fahrzeug betreiben zu können? Wie kann man mit Nanostrukturen perfekte Linsen konstruieren?
Aus dem „Zwergenreich“ präsentiert das KIT in diesem Jahr in Hannover die Karlsruhe Nano Micro Facility (KNMF), ein virtuelles Großforschungsgerät, dessen Einzelgeräte sich im KIT-Campus Nord befinden. Die KNMF steht allen Nutzern aus nationalen und internationalen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zur Verfügung. In der Facility werden Technologien zu einer Plattform gebündelt, die eine Vielfalt von Funktionsmaterialien mit Mikrometer- und Nanometer-Auflösung strukturieren und charakterisieren kann.
Diese Plattform ist weltweit einmalig und wird durch drei KNMF-Labore koordiniert, die die Felder Mikro- und Nanostrukturierung, Mikroskopie und Spektroskopie sowie Synchrotron-Charakterisierung abdecken. Für viele Besucher der HANNOVER MESSE könnte diese besondere Technologieplattform eine wertvolle Hilfestellung für ihre eigenen Forschungen leisten. Die „Zwergenwelt“ ist auch in Zukunft für manche Überraschung gut – nicht nur bei Auto- und Fensterscheiben.
Zahlreiche weitere Institute und Unternehmen, beispielsweise der Verbund NanoMicroWerkstoffe Nordrhein-Westfalen, oder der Gemeinschaftsstand „World of Nano“, komplettieren in Halle 2 das Angebot rund um das Themenfeld der Nanotechnologien. Der nanoTruck bietet als rollendes Ausstellungs- und Kommunikationszentrum des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor Halle 2 Nanotechnologie zum Anfassen.
Am Messe-Mittwoch und Messe-Donnerstag bietet das tech transfer-Forum nanotechnologische Fachvorträge: In zwei „Nanotechnologie-Slots“ wird das Thema vor allem hinsichtlich der Vermarktungsfähigkeit der neuesten Forschungsergebnisse beleuchtet. Marktreife Lösungen werden im Nano-Guide zusammengefasst und auf dem SchauplatzNANO in Halle 5 präsentiert.
Über die HANNOVER MESSE
Das weltweit bedeutendste Technologieereignis wird vom 23. bis 27. April 2012 in Hannover ausgerichtet. Die HANNOVER MESSE 2012 vereint acht Leitmessen an einem Ort: Industrial Automation, Energy, MobiliTec, Digital Factory, Industrial Supply, CoilTechnica, IndustrialGreenTec und Research & Technology. Die zentralen Themen der HANNOVER MESSE 2012 sind Industrieautomation und IT, Energie- und Umwelttechnologien, Industrielle Zulieferung, Produktionstechnologien und Dienstleistungen sowie Forschung und Entwicklung. China ist das Partnerland der HANNOVER MESSE 2012.
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